Über Psychotherapie

 

Wie Psychotherapie zumeist verstanden wird

Was Psychotherapie sein kann, welche Möglichkeiten sie einem Menschen bietet und worum es in einer Psychotherapie gehen kann, all das hängt im Wesentlichen davon ab, welches Verständnis von Psyche solchen Fragen zugrunde liegt. Psyche wird in unserer Zeit häufig mit Verstand, Geist oder Seele gleichgesetzt und damit dem je eigenen materiellen Körper gegenübergestellt. Diese begriffliche Gleichsetzung hat zur Folge, dass unter Psyche eine Sache, ein geistiges Etwas bzw. eine Art Gegenstand verstanden wird, der sich erforschen und messen lässt, der funktionieren oder gestört, gesund oder krank sein kann. Weiters setzt ein solches Verständnis voraus, dass es überhaupt so etwas wie eine Psyche als eine vom Körper getrennte, unabhängige und eigenständige Instanz gibt. Für die Psychotherapie ergibt sich daraus ein klar umrissener Untersuchungsgegenstand und Tätigkeitsbereich: die erforsch- und messbaren Funktionen und Störungen der menschlichen Psyche. Ebenso ergibt sich daraus auch ein klar definierter Arbeitsauftrag: diagnostizierte Funktionsstörungen beheben, getestete psychische Leistungsschwächen zu stärken, oder auch: das Ausmaß an psychischem Wohlbefinden zu steigern.

Die Möglichkeiten der Psychotherapie erschöpfen sich aber nicht in einem solchen Verständnis und folglich auch nicht in solchen Arbeitsaufträgen.

Was Psychotherapie sein kann

In einem anderen, dem menschlichen Dasein angemesseneren Verständnis von Psyche wird das altgriechische »psyché« nicht als Verstand, Geist oder Seele übersetzt, sondern viel mehr als "verstehend", "geistig" oder "beseelt". Wo vorher Substantive genannt wurden, stehen jetzt Eigenschaften. Dieser scheinbar kleine Unterschied erlaubt es im Psychischen nicht eine Sache oder einen Gegenstand zu sehen, sondern das spezifische Wie menschlichen Existierens. Ausgangspunkt eines solchen Denkens ist nicht eine vom Körper abgegrenzte Psyche, sondern die Existenz, sprich das schlichte Faktum, dass wir sind. Mit dem Begriff des Psychischen ist hier die besondere Art und Weise angesprochen, wie wir sind oder besser: wie wir unsere Existenz vollziehen. Insofern wir existieren, existieren wir immer schon denkend, fühlend, verstehend - wir existieren leiblich, stehen in Beziehungen, haben eine Vergangenheit, verhalten uns zur Gegenwart und entwerfen uns auf eine Zukunft. All das kennzeichnet das Wie des menschlichen Daseins. All das kann betroffen sein, wenn von psychischem Leiden gesprochen wird und all das ist Gegenstand der Psychotherapie.

Psychotherapie befasst sich diesem Verständnis nach nicht mit dem begrifflichen Konstrukt und abgesteckten Gegenstandsbereich "Psyche". Sie bezieht sich vielmehr auf das Leben als Ganzes - verstanden als das Wie der je eigenen Lebensführung.